Generalisten halten Systeme am Laufen, verhindern Eskalationen und übersetzen zwischen Welten. Trotzdem machen sie seltener klassische Karriere. Nicht weil sie weniger leisten, sondern weil Organisationen sichtbaren Output höher bewerten als nachhaltige Wirkung. Dieser Text erklärt, warum Generalisten unverzichtbar sind, aber oft übersehen werden.
Warum Generalisten selten Karriere machen, aber immer gebraucht werden
Generalisten sind in fast jeder Organisation unverzichtbar, und doch tauchen sie in Karrieremodellen erstaunlich selten auf. Sie halten Systeme zusammen, lösen Probleme, bevor sie eskalieren, und sorgen dafür, dass Entscheidungen tragfähig bleiben. Gleichzeitig werden Beförderungen, Titel und Anerkennung häufig an andere Rollen vergeben. Das ist kein Zufall und kein individuelles Versagen, sondern ein strukturelles Muster.
Karrieren werden in Organisationen meist entlang klarer, messbarer Leistungen gebaut. Sichtbarer Output lässt sich leichter bewerten als vermiedene Schäden. Ein Projekt, das erfolgreich abgeschlossen wurde, ist greifbar. Eine Krise, die nie eingetreten ist, bleibt abstrakt. Generalisten arbeiten jedoch oft genau in diesem unsichtbaren Raum. Ihr Erfolg besteht darin, dass Dinge nicht passieren, dass Systeme stabil bleiben, dass Konflikte früh entschärft werden. Was nicht passiert, lässt sich schlecht feiern.
Hinzu kommt, dass Generalisten selten eindeutig zuordenbar sind. Sie bewegen sich zwischen Bereichen, Rollen und Zuständigkeiten. Sie sprechen mehrere Sprachen zugleich, technisch, fachlich, organisatorisch. Für klassische Organigramme ist das unbequem. Wer nicht klar einer Schublade zugeordnet werden kann, passt schlecht in standardisierte Laufbahnen. Karrierepfade hingegen bevorzugen Klarheit, Spezialisierung und eindeutige Verantwortlichkeiten, zumindest auf dem Papier.
Ein weiterer Grund liegt in der Logik von Beförderung selbst. Karriere wird oft als Aufstieg verstanden, als Bewegung weg von der operativen Ebene hin zu Steuerung und Kontrolle. Generalisten hingegen bleiben bewusst nah am System. Sie wollen verstehen, wie Dinge tatsächlich funktionieren, nicht nur, wie sie berichtet werden. Das macht sie wertvoll, aber es macht sie auch weniger kompatibel mit Rollen, die vor allem repräsentieren, delegieren und abstrahieren sollen.
Dazu kommt ein kultureller Faktor. Viele Organisationen belohnen Zuspitzung. Wer ein Thema laut vertritt, ein klares Narrativ liefert oder ein einzelnes Spezialgebiet perfekt bespielt, ist leichter sichtbar. Generalisten hingegen differenzieren. Sie relativieren, stellen Rückfragen, weisen auf Abhängigkeiten hin. Das ist rational sinnvoll, aber politisch oft unattraktiv. Wer Komplexität erklärt, gewinnt selten Applaus.
Paradoxerweise steigt der Bedarf an Generalisten genau in den Phasen, in denen sie am wenigsten Anerkennung bekommen. In stabilen Zeiten lassen sich Organisationen gut über Spezialisierung steuern. In Krisen, Übergängen und Umbrüchen hingegen braucht es Menschen, die Zusammenhänge erkennen und improvisieren können. Wenn Systeme unter Druck geraten, wenn Automatisierung, Outsourcing oder neue Technologien eingeführt werden, sind es fast immer Generalisten, die die Folgen abschätzen und auffangen.
Das führt zu einer stillen Ironie. Generalisten werden oft dann sichtbar, wenn etwas schiefläuft, und wieder unsichtbar, sobald es stabilisiert ist. Sie werden hinzugezogen, um Probleme zu lösen, aber selten befördert, weil sie Probleme gelöst haben. Ihr Beitrag ist real, aber schwer zu quantifizieren. Ihr Wert zeigt sich im Betrieb, nicht in Präsentationen.
Trotzdem verschwinden Generalisten nicht. Sie wechseln Organisationen, übernehmen informelle Führungsrollen, oder bleiben bewusst dort, wo sie Wirkung entfalten können, auch ohne Titel. Viele von ihnen entscheiden sich irgendwann gegen klassische Karrierepfade, nicht aus Mangel an Ambition, sondern aus Klarheit darüber, was sie tatsächlich beitragen können. Karriere wird dann nicht mehr über Rang definiert, sondern über Einfluss.
Langfristig geraten Organisationen, die Generalisten systematisch übersehen, in Schwierigkeiten. Sie werden effizient, aber fragil. Sie optimieren Teilbereiche und verlieren den Überblick. Sie haben viele Experten, aber niemanden, der das Ganze verantwortet. In solchen Strukturen entstehen Abhängigkeiten, Wissenssilos und Risiken, die erst auffallen, wenn es zu spät ist.
Deshalb sind Generalisten kein Karrieremodell, sondern eine Notwendigkeit. Sie passen schlecht in Hierarchien, aber sie halten Systeme am Leben. Sie steigen selten schnell auf, aber sie bleiben, wenn andere gehen. Und sie sind oft diejenigen, die am Ende erklären müssen, warum etwas schiefgelaufen ist, obwohl sie es vorher gesagt haben.
Wer Organisationen zukunftsfähig machen will, sollte aufhören, Karriere ausschließlich über Sichtbarkeit und Spezialisierung zu definieren. Verantwortung, Überblick und die Fähigkeit, Komplexität zu tragen, sind keine weichen Faktoren. Sie sind die Grundlage dafür, dass alles andere überhaupt funktionieren kann.
Generalisten machen selten Karriere. Aber ohne sie bricht die Karriere vieler anderer irgendwann ab.