Sobald ein Link geteilt wird, tauchen sie auf. Nicht Leserinnen, sondern Maschinen. Noch bevor ein Mensch entscheidet, ob er klickt, haben Algorithmen längst entschieden, ob der Inhalt sichtbar bleibt oder verschwindet.
Wer liest eigentlich mit
Ich habe Google Analytics auf meinem Blog. Nicht als Marketinginstrument und nicht zur Reichweitenoptimierung, sondern als schlichtes Werkzeug, um zu sehen, was tatsächlich passiert, wenn ich einen Text veröffentliche und teile. Dieser nüchterne Blick zeigt sehr schnell, wie digitale Öffentlichkeit heute funktioniert.
Sobald ich einen neuen Blogpost auf Bluesky teile, tauchen innerhalb von Sekunden erste Zugriffe auf. Keine Leserinnen im klassischen Sinn, sondern Bots, vor allem aus China und Singapur. Wiederkehrend, zuverlässig, technisch eindeutig identifizierbar. Teile ich denselben Link auf Facebook, passiert ebenfalls sofort etwas, dort kommen die ersten Zugriffe fast ausschließlich aus Irland.
Diese Zugriffe sind schneller, als es irgendein Mensch sein könnte. Sie kommen oft, bevor überhaupt jemand meinen Post gesehen haben kann. Und sie kommen jedes Mal. Das ist kein Zufall und auch kein technischer Nebeneffekt, sondern das eigentliche Funktionsprinzip sozialer Plattformen im Jahr 2025.
Wer glaubt, dass ein Posting zuerst von Menschen gesehen wird und dann eventuell von Algorithmen verstärkt oder gebremst wird, liegt falsch. Die Reihenfolge ist umgekehrt. Zuerst kommen Maschinen. Immer. Sobald ich einen Link poste, wird er abgeholt, analysiert, klassifiziert. Sprache, Thema, politischer Kontext, mögliche Risiken. Diese maschinelle Vorentscheidung fällt, bevor irgendein Mensch klickt, kommentiert oder teilt, und sie bestimmt, ob mein Beitrag überhaupt eine Chance hat, in anderen Timelines aufzutauchen, und wenn ja, wie oft und bei wem.
Gerade auf Facebook ist dieser Mechanismus besonders deutlich. Ein Post existiert dort nicht einfach öffentlich. Er wird verteilt. Und diese Verteilung ist vollständig algorithmisch gesteuert. Maschinen entscheiden, ob und wie oft andere Menschen mein Posting sehen können. Nicht nach Qualität oder Relevanz im klassischen Sinn, sondern nach internen Kriterien, die sich meiner Kontrolle und meist auch jeder Nachvollziehbarkeit entziehen.
Das Ergebnis ist paradox. Ein Text kann formal veröffentlicht sein und gleichzeitig sozial unsichtbar bleiben. Er wird nicht verboten, nicht gelöscht, nicht offen zensiert. Er wird einfach nicht verteilt. Besonders politische Inhalte, insbesondere links der Mitte, scheinen dabei systematisch gedämpft zu werden. Man merkt es nicht an Warnungen oder Hinweisen, sondern an Stille.
Bluesky funktioniert anders. Nicht perfekt, aber spürbar entspannter. Die Plattform ist technischer, offener, weniger aggressiv kuratiert. Öffentliche Feeds, klarere Signale, weniger versteckte Dämpfungsmechanismen. Wenn ich dort einen Link teile, kommen zuverlässig mehr Besucher auf meinem Blog als über Facebook. Nicht, weil Bluesky größer wäre, sondern weil Inhalte dort tatsächlich sichtbar bleiben.
Der Unterschied ist grundlegend. Auf Bluesky teilen Menschen Inhalte. Auf Facebook werden Inhalte verwaltet.
Dass die ersten Zugriffe auf Bluesky aus China und Singapur kommen, ist dabei kein Widerspruch. Es zeigt, wie offen der Signalstrom ist. Diese Bots beobachten öffentliche Feeds, reagieren auf neue Links und sammeln Texte ein. Sie interessieren sich nicht für Diskussion, sondern für Daten. Aber sie stehen nicht zwischen mir und meinen Leserinnen.
Bei Facebook ist das anders. Die irischen Bots sind Teil einer geschlossenen Infrastruktur. Meta selbst, verbundene Analysesysteme, externe Dienstleister. Bevor mein Text eine reale Person erreicht, ist er längst durch mehrere maschinelle Filter gelaufen. Und diese Filter entscheiden nicht nur, was problematisch ist, sondern auch, was sich überhaupt lohnt zu zeigen.
Hier verliert der Begriff Öffentlichkeit seine Bedeutung. Öffentlichkeit setzt voraus, dass Sichtbarkeit nicht vorab eingeschränkt wird, dass ein Beitrag gesehen werden kann, bevor er bewertet wird. In algorithmisch kuratierten Räumen ist das nicht mehr gegeben.
Viele Menschen spüren das, ohne es benennen zu können. Sie posten etwas und erleben keine Resonanz. Keine Reaktionen, keine Diskussion, keine Reichweite. Der naheliegende Schluss ist Selbstzweifel. Vielleicht war der Text schlecht, vielleicht irrelevant. In Wahrheit ist er oft einfach nur gefiltert worden.
Dass ich diese Bots überhaupt bemerke, liegt daran, dass ich messe. Die meisten Menschen tun das nicht. Sie sehen nur die Leere und ziehen sich zurück, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Lernfähigkeit. Wer merkt, dass Sichtbarkeit nicht mehr vom Inhalt, sondern von maschineller Bewertung abhängt, passt sein Verhalten an.
Mein Blog ist offen. Jeder kann ihn lesen. Es gibt keine algorithmische Schranke, keinen unsichtbaren Verteiler, der entscheidet, wem ein Text zugemutet wird. Das bedeutet nicht, dass er automatisch Aufmerksamkeit bekommt. Aber es bedeutet, dass die Regeln klar sind. Wer kommt, kommt. Wer nicht kommt, wurde nicht aktiv ferngehalten.
Vielleicht erklärt genau das, warum Blogs, Newsletter und eigene Seiten wieder an Bedeutung gewinnen. Nicht aus Nostalgie, sondern aus dem Bedürfnis nach Transparenz. In einer Welt, in der Maschinen zuerst entscheiden, ob Menschen etwas sehen dürfen, wird jeder offene Raum zu einem kleinen Akt der Selbstbehauptung.
Und vielleicht erklärt das auch, warum der stille Rückzug aus der Öffentlichkeit kein Zeichen von Apathie ist, sondern eine nüchterne Reaktion auf ein System, in dem Sichtbarkeit nicht mehr ein Recht ist, sondern eine zugeteilte Ressource.