Social Media verliert seine Nutzer nicht plötzlich, sondern leise. Selbst aktive Nutzer mit grossen Netzwerken erleben sinkende Reichweiten, wachsende Werbung und eine zunehmende politische Radikalisierung einzelner Plattformen.

Der stille Tod von Social Media

Ich hatte auf Facebook mal mehr als fünfhundert Kontakte und moderiere zwei grosse Gruppen, die früher vor Aktivität gebrummt haben. Über viele Jahre war meine Timeline ein lebendiger Ort, gefüllt mit Neuigkeiten, Alltagsmomenten, kleinen Erfolgen und grossen Diskussionen. Ich konnte mich darauf verlassen, dass ich sah, was meine Kontakte bewegte. Heute sieht das anders aus. Die Reaktionen auf meine eigenen Posts sinken seit Jahren, und auch in den Gruppen wird es immer stiller. Beiträge, die früher ein Publikum fanden, versickern inzwischen im Nichts.

In meiner Timeline finde ich kaum noch Menschen. Der Platz wird gefüllt mit Werbung für zufällige Konsumgüter, die ich nicht brauche und nicht bestellt habe. Facebook zeigt mir den Rest der Welt nur noch in Bruchstücken, während sich die Werbeformate immer weiter ausbreiten. Social Media hat sich so sehr verändert, dass die Plattformen ihre ursprüngliche Aufgabe nicht mehr erfüllen. Es geht kaum noch um Austausch, sondern um eine gigantische Verwertungsmaschine, die meine Aufmerksamkeit als Rohstoff betrachtet.

Instagram ist kaum anders. Wo früher Fotos und Erlebnisse standen, sehe ich heute Influencer in endlosen Serien aus Produktplatzierungen. Das soziale Element ist fast vollständig verschwunden, und mit ihm der Reiz, überhaupt noch zu scrollen. Die Plattform hat ihren Charakter verloren und zeigt mir unaufhörlich Inhalte, die mit meinem sozialen Umfeld nichts zu tun haben.

Eine Sonderrolle spielt X. Diese Plattform hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Abwärtsspirale durchlaufen. X driftet immer weiter nach rechts und öffnet radikalen Stimmen Räume, die früher nicht geduldet worden wären. Viele seriöse Nutzer ziehen sich zurück, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlen und weil die Diskussionskultur regelrecht implodiert ist. Was einst ein Ort für Nachrichten, Debatten und schnelle Information war, ist heute eine unübersichtliche Mischung aus politischer Polarisierung, gezielten Provokationen und einer Atmosphäre, die jeden sinnvollen Austausch erstickt. Auch das trägt zum allgemeinen Niedergang von Social Media bei, weil es zeigt, wie sehr die Plattformen ihre Orientierung verloren haben.

Der einzige Dienst, der im Moment tatsächlich wieder Freude bereitet, ist Bluesky. Vielleicht liegt es an der überschaubaren Grösse. Vielleicht an der Tatsache, dass man dort wieder Menschen findet, die ernsthaft miteinander reden wollen. Es wirkt wie ein Ort, der noch nicht von der Last des Kommerzes und der zwanghaften Optimierung erdrückt wurde. Bluesky erinnert an die Anfänge sozialer Netzwerke, als man noch das Gefühl hatte, dass ein Beitrag von echten Menschen gesehen wird und nicht von einem Algorithmus, der sich zwischen zwei Werbeschaltungen langweilt.

Der Niedergang von Social Media ist kein plötzlicher Bruch. Er ist ein Prozess, der seit Jahren im Hintergrund läuft. Aufmerksamkeit, Vertrauen und Geduld sind Dinge, die nicht unendlich verfügbar sind. Plattformen, die diese Ressourcen dauerhaft überbeanspruchen, verbrauchen ihren eigenen Nährboden. Social Media hat sich von seinem ursprünglichen Ziel entfernt und seine Nutzer zu Datenlieferanten gemacht. Je offensichtlicher diese Mechanik wurde, desto stärker sank die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

Dieser Wandel verläuft erstaunlich leise. Kein dramatischer Absturz, keine spektakuläre Abschaltung. Es ist ein kollektives Wegdrehen. Menschen posten weniger, kommentieren weniger und konsumieren weniger. Sie merken, dass diese Räume ihnen nichts mehr geben. Die Plattformen stehen noch, aber sie sind entleert, und die Kultur, die sie prägte, existiert kaum noch.

Parallel entstehen neue digitale Räume. Persönliche Websites, Blogs, thematische Communities, spezialisierte Foren und private Server gewinnen an Bedeutung. Diese Orte sind kleiner, aber sie bieten wieder echte Begegnungen. Menschen suchen Räume, die ihnen gehören, statt Plattformen, die sie ausnutzen. Sie wollen digitale Orte, die nicht von Werbung überlagert werden und nicht von politischer Radikalisierung dominiert sind. Sie wollen wieder Gespräche, die nicht im algorithmischen Lärm verloren gehen.

Diese Entwicklung erinnert an das frühe Internet, als man sich bewusst für bestimmte Räume entschied, weil sie sinnvoll waren und nicht, weil ein Algorithmus sie einem aufdrängte. Doch die Wurzeln reichen noch weiter zurück. Lange bevor das moderne Netz in unseren Alltag wanderte, gab es FidoNet und MausNet. Das waren Gemeinschaften, die nicht auf maximale Reichweite zielten, sondern auf Austausch und gegenseitige Unterstützung. Nachrichten wanderten von Knoten zu Knoten, und jeder Betreiber trug ein kleines Stück Infrastruktur selbst. Man wusste genau, auf welchem Rechner ein Forum lag, wer es betreute und welche Regeln dort galten. Es war ein Netz, das aus Überzeugung existierte und nicht aus Verwertungslogik.

Dieser Geist kehrt heute zurück. Damals wie heute entstehen neue Strukturen, weil die alten versagen. Social Media stirbt leise, aber sein Niedergang schafft Platz für ein neues, gesünderes digitales Ökosystem. Ein Netz, das kleiner ist, aber wieder Nähe erzeugt. Ein Netz, das persönliche Verantwortung kennt statt algorithmischer Steuerung. Und ein Netz, in dem Menschen miteinander sprechen, weil sie es wollen und nicht, weil eine Plattform es ihnen aufzwingt.