Ein kurzer Anruf bei einer Versicherung zeigte mir gestern, wie selbstverständlich künstliche Intelligenz inzwischen Aufgaben übernimmt, die früher eindeutig menschlich waren. Automatisierung verändert unsere Arbeitswelt schneller, als soziale Systeme reagieren können. Genau deshalb braucht Europa ein bedingungsloses Grundeinkommen, um Stabilität, Teilhabe und soziale Sicherheit in einer automatisierten Gesellschaft zu gewährleisten.Warum Europa ein bedingungsloses Grundeinkommen braucht

Warum Europa ein bedingungsloses Grundeinkommen braucht

Gestern rief ich die Hotline einer Versicherung an und stellte mich bereits auf den üblichen Ablauf ein. Ein paar Minuten bis Stunden Warteschleife, danach eine menschliche Stimme, die mein Anliegen aufnimmt, weiterleitet und mir vielleicht irgendwann eine Lösung anbietet. Diese Routine kennt jeder. Doch dieses Mal verlief alles anders. Am anderen Ende meldete sich kein Mitarbeiter, sondern ein künstlicher Agent, der sich auch als solcher vorstellte. Kein mechanischer Automat, wie man ihn aus früheren Jahren kennt, sondern ein System, das erstaunlich präzise reagierte, ruhig nachfragte, den Kontext verstand und mein Anliegen direkt löste. Es war fast unauffällig, und genau deshalb so bemerkenswert. Denn dieser Moment zeigt, wie selbstverständlich Automatisierung inzwischen in Bereiche vordringt, die früher ausschliesslich von Menschen geprägt waren.

Dieser eine Anruf macht deutlich, wie schnell sich unsere Arbeitswelt tatsächlich verändert. Automatisierung beschränkt sich längst nicht mehr auf einfache Tätigkeiten, sondern greift in Berufe ein, die wir über Jahrzehnte als besonders menschlich angesehen haben. Beratung, Kommunikation, Betreuung, Problemlösung. All diese Felder werden gerade neu verteilt, und vieles davon übernimmt heute Software, die sich selbst verbessert und sich in rasantem Tempo ausbreitet.

Während die Technik immer leistungsfähiger wird, bleiben unsere sozialen Sicherungssysteme auffallend statisch, als lebten wir noch in einer Welt, in der Arbeit und Einkommen fest miteinander verbunden sind.

Genau hier entsteht die eigentliche Herausforderung. Es geht nicht darum, Technik aufzuhalten. Es geht darum, Gesellschaften stabil zu halten, während sich die wirtschaftlichen Grundlagen verschieben. Wir brauchen ein Modell, das Menschen Sicherheit gibt, wenn sich Arbeitsmärkte neu sortieren und traditionelle Erwerbsbiografien verschwinden. Wir brauchen ein Instrument, das verhindert, dass diese technologische Entwicklung soziale Spaltung verstärkt. Wir brauchen ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die digitale Automatisierung verändert alles. Sie ist kein entferntes Zukunftsthema, sondern eine Realität, die längst im Zentrum unserer Wirtschaft angekommen ist. Software, künstliche Intelligenz und automatisierte Systeme übernehmen Aufgaben in einer Geschwindigkeit, die unsere politischen und sozialen Institutionen kaum noch einholen können. Technik entwickelt sich innerhalb weniger Monate, während Gesetzgebung, Verwaltung und soziale Sicherungsnetze Jahre benötigen, um sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen.

Das eigentliche Risiko liegt nicht in der Automatisierung selbst, sondern in ihrer Dynamik. Arbeitsmärkte verlieren an Stabilität, weil immer mehr Tätigkeiten schneller automatisiert werden, als Menschen sich weiterqualifizieren können. Klassische Antworten wie Weiterbildung und Umschulung bleiben wichtig, reichen aber allein nicht mehr aus. Viele neue Tätigkeiten erfordern komplexe Fähigkeiten, die nicht jede Person in jedem Lebensabschnitt erlernen kann. Das ist keine moralische Wertung, sondern eine strukturelle Tatsache.

Die Folge ist eine wachsende soziale Spaltung. Auf der einen Seite stehen Menschen, die im digitalen und kreativen Bereich arbeiten und von der Automatisierung profitieren. Auf der anderen Seite stehen jene, deren Tätigkeiten durch Software, Maschinen oder künstliche Intelligenz ersetzt werden. Automatisierung erzeugt Produktivität und Wohlstand, aber sie verteilt diesen Wohlstand nicht. Ohne politischen Ausgleich entstehen Ungleichheiten, die ganze Gesellschaften destabilisieren können.

Genau deshalb ist ein bedingungsloses Grundeinkommen keine romantische Vision, sondern eine notwendige Antwort auf eine technologische Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten ist. Automatisierung schafft enorme Gewinne, aber diese Gewinne landen vor allem bei Unternehmen und Kapitaleignern. Ein Grundeinkommen würde einen Teil dieser Wertschöpfung in die Gesellschaft zurückführen. Es würde Menschen eine stabile Grundlage geben, auf der sie neue Fähigkeiten entwickeln, neue Chancen wahrnehmen oder selbstständig arbeiten können. Es würde Unsicherheit reduzieren, politische Polarisierung abfedern und demokratische Systeme widerstandsfähiger machen.

Europa braucht ein solches Modell besonders dringend. Unsere Bevölkerung altert, viele Wirtschaftszweige stehen unter strukturellem Druck, und der Bedarf an sozialen Sicherungsmechanismen steigt. Ein Grundeinkommen schafft eine stabile Basis, die allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, unabhängig davon, wie sich Arbeitsmärkte in den kommenden Jahren verändern.

Die Alternative wäre gesellschaftlich und wirtschaftlich gefährlich. Ohne ein neues soziales Modell riskieren wir eine Wirtschaft, in der nur eine kleine digitale Elite profitiert, während grosse Teile der Bevölkerung verunsichert und politisch anfällig werden. Das wäre nicht nur sozial zerstörerisch, sondern auch ökonomisch unklug. Eine Gesellschaft, die Menschen in Unsicherheit hält, bremst Innovation und zerstört langfristig ihren eigenen Wohlstand.

Automatisierung wird nicht verschwinden. Künstliche Intelligenz wird sich weiterentwickeln. Digitalisierung lässt sich nicht zurückdrehen. Die Frage ist allein, ob wir diese Entwicklung sozial gestalten oder passiv geschehen lassen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist keine Luxusidee, sondern die notwendige Grundlage einer automatisierten Gesellschaft, die gerecht, stabil und zukunftsfähig bleiben will.