Belgien befindet sich bereits am zweiten Tag eines dreitägigen Stillstands, doch diese Ruhe täuscht. Der Arbeitskampf ist keine Routineaktion, sondern ein dringend notwendiger Schutzmechanismus in einem politischen Umfeld, das Arbeitnehmer zunehmend an den Rand drängt. Während die Regierung ihren Haushaltsdeal als Stabilisierung feiert, erinnern die Gewerkschaften daran, dass ohne kollektiven Widerstand niemand die Interessen der Beschäftigten gegen politische und wirtschaftliche Machtblöcke verteidigen würde.
Vorausschau: Warum Belgien jetzt streiken muss
Wenn Belgien heute in den Streik geht, dann ist das kein Reflex, sondern eine Antwort auf eine politische Lage, die die Gewerkschaften immer weiter an den Rand drückt. Der neue Haushaltsdeal wirkt auf den ersten Blick wie ein Befreiungsschlag, doch für Arbeitnehmer bedeutet er vor allem eine Verschärfung ihrer Belastung. Die Regierung verkauft Stabilität, aber die Rechnung wird von jenen bezahlt, die keine Lobby haben und deren politische Macht fast vollständig über ihre Gewerkschaften vermittelt wird.
Der Streik ist daher nicht nur ein Zeichen des Unmuts, sondern eine notwendige Instanz politischer Selbstverteidigung. Gewerkschaften erfüllen in Belgien eine Funktion, die weit über Tarifpolitik hinausgeht. Sie sind Prüfstein und Gegengewicht, ein Bollwerk gegen eine doppelte Druckwelle aus wirtschaftlicher Interessenpolitik und politischer Kürzungslogik. Ohne sie wäre der nächste Schritt absehbar: Entscheidungen über Einkommen, Preise, Arbeitszeiten und Belastungen würden ohne jeden Widerstand getroffen, weil niemand mehr laut genug wäre, um Widerspruch hörbar zu machen.
Belgien hat eine lange Tradition der Arbeitskämpfe, doch diese Tradition steht unter Druck. Prekäre Beschäftigung, schwacher Arbeitsmarkt, Teilzeitkarrieren und internationale Konkurrenz schaffen eine Welt, in der Arbeitnehmer immer weniger Verhandlungsmacht haben. Die Gewerkschaften müssen also beweisen, dass sie weiterhin existieren, nicht nur als Organisation, sondern als politischer Faktor. Der aktuelle Streik ist deshalb keine Provokation, sondern ein notwendiger Realitätstest. Er zeigt, dass es diese Macht noch gibt und dass Arbeitnehmer nicht bereit sind, jede Belastung zu schlucken, nur weil der Staat sie als unvermeidlich bezeichnet.
Der Haushaltsdeal liefert den geeigneten Hintergrund. Einsparungen treffen jene, die wenig Spielraum haben, während wichtige Wirtschaftslobbys neue Vorteile erhalten. Steuerliche Umschichtungen wirken technokratisch, aber ihre Folgen sind sozial real. Wenn Gas teurer wird, wenn Mobilität eingeschränkt wird, wenn Lohnindexierungen eingefroren werden, dann spüren das nicht Aktionäre, sondern Familien. Die Gewerkschaften tragen diese Perspektive in die Öffentlichkeit, und genau hier zeigt sich ihre demokratische Funktion. Sie sind nicht nur Interessenvertreter, sondern ein Schutzschild gegen ein politisches System, das sich sonst zu leicht von wirtschaftlicher Macht leiten lässt.
Der Streik eröffnet daher eine neue Debatte. Er wirkt wie ein lautes, unbequemes Nein in einem Land, das sich zu sehr an Kompromisse gewöhnt hat, die fast immer zulasten der Beschäftigten gehen. Ob die Gewerkschaften damit Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass ihr Schweigen deutlich gefährlicher wäre als ihr Protest. In einer Zeit wachsender Unsicherheit ist kollektiver Widerstand kein Störfaktor, sondern ein notwendiger Beitrag zur politischen Balance.
Heute und morgen steht Belgien weitgehend still, und gerade in dieser erzwungenen Ruhe zeigt sich, wie laut die Gewerkschaften auftreten müssen, damit Arbeitnehmer in diesem Land nicht überhört werden.