Der Klimawandel bleibt die zentrale Herausforderung unserer Zeit, doch politische Aufmerksamkeit wird von akuten Krisen absorbiert. Das grüne Projekt hat eine Zukunft, aber nur, wenn seine Akteure soziale Realität, politische Psychologie und strategische Kommunikation ernster nehmen als bisher.

Hat das grüne Projekt überhaupt noch eine Zukunft

Es ist eine Frage, die man vor zehn Jahren nur hinter vorgehaltener Hand gestellt hätte. Damals schien ökologische Politik auf einer historischen Aufwärtslinie zu stehen. Der wissenschaftliche Konsens war gesichert, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit wuchs, und Regierungen begannen zumindest rhetorisch zu akzeptieren, dass es ohne tiefgreifende Transformation keine Zukunft gibt.

Heute stellt sich die Frage offen. Nicht, weil ökologische Politik weniger relevant wäre, sondern weil die Weltlage sich derart verdunkelt hat, dass selbst existenzielle Krisen in der öffentlichen Wahrnehmung gegeneinander antreten wie bei einem makabren Wettbewerb um Priorität.

Und mitten in diesem geopolitischen und sozialen Chaos soll das grüne Projekt bestehen. Die Frage ist nicht zynisch, sie ist unvermeidlich.

Eine Welt, die alles tut, um langfristiges Denken unmöglich zu machen

Globale Krisen wirken wie ein dichter Nebel, der jede langfristige Debatte verschluckt. Bomben, Energiepreise, geopolitische Blockbildung, Cyberangriffe, Lieferketten, Währungsschwankungen. Jedes dieser Themen erzeugt eine unmittelbare Reizreaktion, die politische Aufmerksamkeit absorbiert. Nichts davon schafft ein Klima, in dem Menschen bereit sind, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie es in dreissig Jahren aussehen soll.

Viele haben nicht einmal die Kapazität, über morgen nachzudenken, weil ihr Alltag eine Abfolge kurzfristiger Problemlösungen geworden ist.

Dass grüne Parteien in diesem Umfeld unter Druck stehen, ist daher keine Überraschung. Überraschend ist eher, wie viele von ihnen so tun, als könnten sie die Bevölkerung mit moralischer Rhetorik und guten Absichten durch diese Zeiten führen. Der moralische Zeigefinger war schon in ruhigen politischen Perioden schwer vermittelbar. In einer Ära der permanenten Krisen ist er nahezu unbrauchbar.

Warum grüne Politik heute an Grenzen stösst

Ökologie konkurriert nicht mit anderen politischen Themen, sie konkurriert mit Existenzangst. Wenn Menschen nicht wissen, ob sie die nächste Energierechnung bezahlen können, wenn Krankenhäuser im Dauerstress sind, wenn Unsicherheit den öffentlichen Raum dominiert, dann wirkt jede ökologische Botschaft, die auf abstrakteren Zeithorizonten basiert, wie ein Diskurs aus einer Parallelwelt.

Das bedeutet nicht, dass sie falsch wäre. Es bedeutet, dass sie nicht durchdringt.

Hinzu kommt ein strukturelles Problem der grünen Parteien selbst. Viele versuchen, gleichzeitig moralische Avantgarde, Regierungspartei, Graswurzelbewegung und sozialpolitischer Reparaturbetrieb zu sein. Die Folge ist ein überdehntes Selbstbild. Ein Hybridwesen, das an vielen Fronten agiert, aber an keiner wirklich überzeugt.

Ökologische Politik scheitert selten an naturwissenschaftlicher Evidenz. Sie scheitert an Kommunikation, politischer Psychologie und manchmal auch an Selbstüberschätzung.

Schwerwiegender ist jedoch etwas anderes: Die ökologischen Akteure unterschätzen oft die soziale Dimension ihrer eigenen Transformation. Wandel ohne soziale Stabilität ist politisch nicht durchsetzbar, und Wandel ohne soziale Legitimation bricht an der Wahlurne zusammen.

Das eigentliche Dilemma

Das grüne Projekt ist nicht tot. Es ist überlagert.

Der Klimawandel ist nicht verschwunden, er ist nur medial und politisch verdrängt worden. Jede wissenschaftliche Bilanz zeigt, dass die Zeit knapper wird, nicht länger. Jede Extremwetterlage demonstriert die Fragilität unserer Systeme. Und jedes Jahr ohne substantielle Reduktionen macht spätere Reduktionen teurer, riskanter und politisch schwieriger.

Aber politische Aufmerksamkeit ist eine endliche Ressource. Und sie wird aktuell von akuten Problemen absorbiert, die sich lauter, dringlicher und unmittelbarer anfühlen.

Das ist das Dilemma: Das grüne Projekt ist dringlich, aber nicht dominant. Und politische Projekte, die nicht dominant sind, verlieren irgendwann die Fähigkeit, Mehrheiten zu organisieren.

Die unbequeme Wahrheit

Die ökologische Bewegung hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich neu erfindet und die soziale, wirtschaftliche und politische Realität dieser Zeit nicht als Störung, sondern als Ausgangspunkt begreift.

Sie muss erklären, warum ökologische Stabilität der Grundpfeiler für jede wirtschaftliche und soziale Stabilität ist. Warum die Abwehr des Klimachaos keine Nebenaufgabe ist, sondern der Rahmen, in dem alle anderen politischen Projekte stattfinden. Warum Klimapolitik kein Luxus für bessere Zeiten ist, sondern die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt bessere Zeiten geben kann.

Wenn die ökologische Bewegung diesen Schritt nicht macht, werden andere ihren Platz einnehmen. Zuerst jene, die einfache Lösungen anbieten. Dann jene, die gar keine Lösungen anbieten, aber lauter sind.

Die Frage, die bleibt

Das grüne Projekt hat eine Zukunft. Das ist keine Frage. Die wissenschaftlichen Grundlagen sind klar, die klimatischen Realitäten lassen sich nicht wegverhandeln, und die langfristigen Risiken werden nicht kleiner, nur weil die Politik sie ignoriert. Die ökologische Transformation wird kommen, egal ob freiwillig, erzwungen oder zu spät.

Die eigentliche Frage lautet daher nicht, ob das grüne Projekt bestehen bleibt, sondern ob die Parteien, die sich ihm verpflichtet fühlen, überhaupt in der Lage sind, diese Zukunft zu erreichen. Und genau hier beginnt der unangenehme Teil der Analyse. Denn ökologische Politik scheitert fast nie an der Physik, sondern erstaunlich regelmässig an ihren eigenen Protagonisten.

Die grösste Gefahr für das grüne Projekt ist nicht der politische Gegner, sondern die eigene Unterschätzung der Welt, in der man agiert. Eine Welt, die ungeduldig, nervös, konfliktreich und zutiefst pragmatisch geworden ist. Eine Welt, die sich nicht mehr von guten Absichten beeindrucken lässt, sondern von Ergebnissen.

Wenn die Parteien, die das grüne Projekt tragen sollen, diesen Wandel nicht ernst nehmen, dann werden sie nicht an ökologischen Zielen scheitern, sondern an ihrem eigenen Unvermögen, sich an die Realität anzupassen. Die ökologische Frage bleibt bestehen. Die Frage ist nur, wer sie politisch überlebt.