Ecolo ringt nicht nur mit einer zerbrochenen Co Präsidentschaft, sondern mit der Frage, wie eine ökologische Partei in einer unruhigen Gesellschaft überhaupt noch wirken kann.
Was die Krise von Ecolo wirklich bedeutet
Ecolo steht an einem Punkt, den manche Parteien als ernst betrachten würden. Für eine ökologische Partei, die sich gern als moralischer Kompass der Republik begreift, ist es ein Totalschaden. Was von aussen aussieht wie eine Personalpanne, ist in Wahrheit eine strategische, strukturelle und emotionale Entgleisung, die zeigt, dass Anspruch und Realität weit auseinanderliegen.
Was bei Ecolo passiert ist
Die Co Präsidenten Marie Lecocq und Samuel Cogolati haben einander offiziell bescheinigt, dass sie nicht miteinander arbeiten können. Das „Bureau politique“ reagierte mit einer Übergangsgruppe, die ungefähr so stabil wirkt wie ein Klapptisch im Sturm. Die Partei erklärte sofort, sie sei geschlossen. Diese Art von Beruhigungsfloskeln hat im politischen Betrieb eine lange Tradition. Sie bedeutet meist das Gegenteil.
Parallel läuft seit Monaten die Initiative „Enquête Populaire“. Ecolo wollte herausfinden, welche Ökologie die Menschen heute erwarten. Das Ergebnis, unausgesprochen, könnte lauten: eine funktionierende Partei wäre ein Anfang. Dass die Führung ausgerechnet mitten in dieser Selbstbefragung zerbricht, ist weniger schlechtes Timing als eine treffende Diagnose.
Warum es passiert ist
Die Gründe sind einfach, wenn auch peinlich.
Die beiden Co Präsidenten hatten keine gemeinsame politische Geschichte, keine gewachsene Zusammenarbeit und offensichtlich auch kein gemeinsames Verständnis davon, wie man eine Partei führt. Man setzte zwei Personen an die Spitze, die sich erst im Amt kennenlernen mussten. Das ist mutig, aber eher im Sinne von „Wir schauen mal, was passiert“, nicht im Sinne von guter Organisationskultur. Das Ergebnis hat sich dann auch entsprechend eingestellt.
Hinzu kommt eine tiefgreifende strategische Neuorientierung. Ecolo möchte das angestaubte Image der moralischen Öko-Besserwisser abstreifen und sich als sozial verankerte, moderne Bewegung neu erfinden. In der Theorie klingt das grossartig. In der Praxis bedeutet es einen permanenten Kleinkrieg zwischen Traditionalisten, Reformerinnen, pragmatischen Stadtpolitikerinnen und ideologisch aufgeladenen Idealisten. Jeder Flügel hält sich für unersetzlich und sieht die anderen als Belastung. Die Folge ist weniger strategische Erneuerung als ein kollektives Gerangel darum, wer das wahre Herz von Ecolo verkörpern darf.
Der politische Kontext trägt ebenfalls dazu bei. Belgien stolpert von einer Krise in die nächste, und die Gesellschaft reagiert darauf nicht mit verstärktem Interesse an Klimapolitik, sondern mit einer sehr irdischen Liste von Sorgen. Krankenhäuser. Energiepreise. Verkehr. Sicherheit. Und das ganz normale Leben. Wenn eine Partei in dieser Lage weiterhin so tut, als wären furzende Kühe der wichtigste Beitrag zum politischen Diskurs, dann verliert sie zwangsläufig den Anschluss. Menschen wollen Lösungen für Probleme, die sie heute betreffen, nicht moralische Belehrungen über Methanemissionen, während sie gleichzeitig auf eine Notaufnahme warten, die seit Jahren unterbesetzt ist.
Kurz gesagt, Ecolo kämpft an zu vielen Fronten gleichzeitig und verliert dort Energie, wo sie sie am dringendsten bräuchte: beim Versuch, wieder politisch relevant zu sein.
Was das alles bedeutet
Die Folgen sind umfangreich.
Interne Legitimität
Die Basis soll mobilisiert bleiben, während die Spitze sich zerlegt. Das funktioniert ungefähr so gut wie ein Marathon auf Glatteis. Wenn Aktivistinnen den Eindruck haben, dass die inneren Konflikte grösser sind als die politischen Ziele, sinkt die Bereitschaft, für die Partei zu kämpfen.
Mobilisierung ist für Ecolo existenziell. Ohne sie bleibt die Partei ein akademisches Projekt mit guter Absicht, aber geringer Reichweite.
Externes Vertrauen
Wählerinnen und Wähler haben wenig Geduld für Parteien, die auf offener Bühne Selbstgespräche führen. Führungskrisen kombiniert mit strategischer Unklarheit führen dazu, dass Ecolo öffentlich wirkt wie eine Bewegung, die dringend gerettet werden muss, aber nicht weiss, wovor.
Politische Handlungsfähigkeit
Ecolo war einmal die moralische Instanz in belgischen Koalitionen. Heute sieht es so aus, als würde die Partei in Verhandlungen vor allem darum kämpfen, nicht weiter an Einfluss zu verlieren. Wer intern schwach ist, wird extern weich. Das spüren Koalitionspartner und nutzen es aus.
Grösserer Kontext: COP30
Hier wird die Ironie komplett. Während die COP30 wieder einmal demonstrierte, wie man globale Klimapolitik in heisse Luft verwandelt, verliert gerade jene Partei an Kraft, die diesen Missstand am lautesten benennen könnte. Ecolo hatte völlig recht, COP30 kritisch zu sehen. Die Welt steht nicht vor einem Problem, sie steckt mitten in einer Eskalation. Aber eine Partei, die intern taumelt, kann extern keinen Druck aufbauen. Das ist bitter, aber zutreffend.
Zukunft
Ecolo kann aus dieser Krise gestärkt hervorgehen, aber nur, wenn die neue Führung mehr ist als ein kosmetischer Austausch. Es braucht eine klare Sprache, ein klares Profil und eine politische Praxis, die nicht im eigenen Selbstverständnis stecken bleibt. Wenn das nicht gelingt, beginnt für Ecolo eine langsame, aber stabile Wanderung Richtung Bedeutungslosigkeit. Dann verliert nicht nur die Partei, dann verliert eine ökologische Perspektive in Belgien eine ihrer wenigen konsequenten Stimmen.
Fazit
Ecolo steht an einer Weggabelung. Was jetzt geschieht, entscheidet darüber, ob die Partei wieder relevant wird oder ob sie zur Fussnote der belgischen Politik schrumpft. Die ökologische Frage bleibt dringlich, aber eine Partei, die sie vertreten will, muss erst einmal sich selbst im Griff haben.
Die Krise ist da. Die Frage ist, ob Ecolo daran wächst oder daran zerfällt. Und ich sage das nicht als Beobachter von aussen, sondern als Mitglied beider grünen Parteien in Belgien, also von Ecolo und Groen. Das gibt mir den direkten Vergleich, den viele nur aus zweiter Hand kennen.
Während Groen konstruktiv arbeitet, modern, lösungsorientiert und mit einer inneren Kultur, die an ein professionelles politisches Projekt erinnert, wirkt Ecolo in diesen Monaten streckenweise wie ein von Vogonen verwalteter, überalterter Rosenzuchtverein, der glaubt, dass die Verwaltung der Vereinsordnung bereits politische Arbeit sei. Alles ist schwerfällig, zerredet, durchritualisiert und so tief in internen Verfahren verankert, dass man sich fragt, ob es sich überhaupt noch um eine Partei oder lieber um ein biologisches Museum handelt.
Diese Unterschiede sind real, sie sind spürbar, und sie erklären, warum eine Partei gerade an Relevanz gewinnt, während die andere ihre Energie mit Selbstverwaltung verbrennt. Der Kontrast könnte kaum grösser sein.