Analyse: Eine Verkehrswende, die viele nicht mitgehen können
Die Bundesregierung hat klargestellt, dass es keine Neuauflage des Umweltbonus für Privatpersonen geben wird. Stattdessen soll die Förderung von Elektroautos künftig noch stärker über das Dienstwagen-Privileg erfolgen – inklusive einer Ausweitung der besonders lukrativen 0,25-Prozent-Regelung auf Fahrzeuge bis 100.000 Euro.
Was auf den ersten Blick nach einem technologieoffenen Anreizprogramm klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein Förderinstrument mit gravierender sozialer Schieflage – und einem klaren industriepolitischen Nebeneffekt: Bevorzugt werden vor allem Fahrzeuge der deutschen Premiumhersteller, denn in der Preisklasse von €70.000 bis €100.000 tummeln sich vor allem BMW, Audi und Mercedes.
Eine Politik für Fuhrparks – nicht für Familien
In der Realität bedeutet das: Wer als Unternehmen oder Führungskraft ein neues E-Auto anschafft, kann auf eine steuerlich stark begünstigte Behandlung hoffen. Wer hingegen als Privatperson mit durchschnittlichem Einkommen ein Elektrofahrzeug kaufen möchte, bekommt – nichts.
Diese Schieflage ist kein Nebeneffekt, sondern explizites Ergebnis der aktuellen Förderpolitik. Der Umweltbonus, der bis Ende 2023 noch einen kleinen finanziellen Ausgleich für private Käufer bot, wurde ersatzlos gestrichen. Die Folge ist eine zementierte Zweiklassengesellschaft auf dem E-Automarkt:
- Firmenwagen-Elektroautos boomen, steuerlich unterstützt, meist geleast oder gekauft durch große Flottenbetreiber.
- Private Käufer hingegen bleiben außen vor. Viele schrecken aus verständlichen Gründen vor der hohen Investition zurück – ohne Förderung, ohne Sicherheit, mit wachsendem Gebrauchtwagenwertverlust.
Dabei wäre eine gezielte Förderung von Privatpersonen nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern auch ökonomisch und klimapolitisch sinnvoll:
- Sie würde die Nachfrage im privaten Marktsegment beleben, wo bislang kaum Dynamik herrscht.
- Sie könnte gezielt haushaltsnahe Mobilität fördern, z. B. bei Familien, Pendler:innen oder Menschen im ländlichen Raum.
- Sie würde den Gebrauchtmarkt für E-Autos schneller etablieren, indem mehr Fahrzeuge in den privaten Erstbesitz gelangen.
- Und nicht zuletzt: Sie würde das Signal setzen, dass Elektromobilität kein Elitenprojekt, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Wandel ist.
Wer nachhaltige Mobilität will, muss allen eine faire Chance geben, daran teilzuhaben – nicht nur denen mit Dienstwagenanspruch und Steuerberater.
Zahlen, die nicht lügen – sondern entlarven
Die aktuelle HUK-Coburg-Studie zeigt: Im Privatbesitz machen reine Elektroautos in Deutschland gerade einmal 3,3 Prozent aus – und das Wachstum ist quasi zum Erliegen gekommen. Gleichzeitig steigt der Marktanteil bei Neuzulassungen deutlich – weil eben Unternehmen kaufen, nicht Familien oder Einzelpersonen.
Von den beliebtesten E-Auto-Modellen im ersten Quartal 2025 wurden laut Autoexperte Constantin Gall 86 Prozent gewerblich zugelassen. Das ist kein Marktversagen – das ist politisch erzeugt.
Und es wirft eine Frage auf, die kaum jemand laut stellt: Warum wird ein so großer Teil der Elektromobilitätsförderung gezielt in Richtung derer gelenkt, die ohnehin besser verdienen – statt hin zu denen, für die die Kaufentscheidung existenziell ist?
Wer profitiert von einer Ausweitung der steuerlichen Privilegien auf Fahrzeuge bis 100.000 Euro?
Wer genau sitzt in den Ausschüssen, die solche Schwellen festlegen – und wer fährt heute schon einen geleasten E-Audi auf Firmenkosten?
Was hier als technologischer Fortschritt verkauft wird, ist vielfach wirtschaftspolitisch motivierte Lenkung zugunsten eines sehr spezifischen Marktsegments – der Dienstwagenklasse deutscher Premiumhersteller. Die Elektromobilität wird damit nicht nur teurer für den Staat, sondern auch sozial selektiv.
Verkehrswende ohne soziale Teilhabe?
Wenn die Bundesregierung die Elektromobilität ernsthaft vorantreiben will, dann muss sie breitenwirksam sein – sozial, geografisch und ökonomisch. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Die aktuellen Förderpläne zielen auf die Spitze der Einkommenspyramide, nicht auf deren Fundament.
- Sie fördern Fahrzeuge, die sich ohnehin nur Besserverdienende leisten können – mit Listenpreisen jenseits der 60.000 €.
- Sie entziehen denen, die auf Unterstützung angewiesen wären, jedwede staatliche Hilfe.
- Sie setzen auf steuerliche Entlastung von Dienstwagenfahrern, anstatt auf gezielte Förderung von Haushalten mit mittlerem oder geringem Einkommen.
- Und sie fördern damit Statussymbole – nicht klimagerechte Alltagstauglichkeit.
Die Folge ist eine Mobilitätswende mit Ausschlussklausel: Wer nicht Teil der beruflichen oder institutionellen Infrastruktur ist, die Dienstwagen bereitstellt, wird de facto nicht erreicht. Insbesondere Menschen im ländlichen Raum, Berufspendler:innen ohne Ladeinfrastruktur zu Hause oder junge Familien mit knappem Budget werden systematisch übersehen.
Dabei war der inzwischen abgeschaffte Umweltbonus alles andere als perfekt – aber er war sichtbar, verständlich und direkt zugänglich. Und er richtete sich nicht nur an Dienstwagenfahrer, sondern an alle, die bereit waren, selbst in emissionsfreie Mobilität zu investieren.
Was jetzt fehlt, ist ein Förderansatz, der nicht nur die CO₂-Bilanz, sondern auch die soziale Gerechtigkeit im Blick hat. Denn wenn nur noch diejenigen elektrisch fahren, die sich ein steuerlich begünstigtes Leasingmodell über die Firma leisten können, dann ist die Verkehrswende kein gesamtgesellschaftliches Projekt mehr, sondern eine steueroptimierte Geschäftsentscheidung.
Klimaschutz darf kein Privileg sein. Er muss eine kollektive Möglichkeit sein – auch auf vier Rädern.
Fazit:
Die Bundesregierung inszeniert eine Verkehrswende – aber nur für die oberen Etagen. Wer keinen steuerlich gepäppelten Firmenwagen fährt, darf beim Thema Elektromobilität offenbar draußen bleiben. Ausgerechnet jene, die den Wandel tragen müssten, werden systematisch ausgeschlossen.
Eine neue Förderung für private Käufer wäre kein Bonus, sondern eine demokratische Mindestvoraussetzung für gesellschaftlichen Wandel. Stattdessen fördert der Staat Dienstwagen im Gegenwert eines Jahreseinkommens – und nennt das Zukunft.
So sieht sie aus, die vielbeschworene Technologieoffenheit: offen nur für Besserverdienende.
Wenn Elektromobilität nicht zum Symbol sozialer Ungleichheit werden soll, braucht es endlich eine Wende in der Förderpolitik – weg von der Firmenparkplatz-Klasse, hin zur Straße. Für alle.
Quellen
📊 Studien & Statistiken
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HUK-Coburg E-Barometer 2025
Analyse zum Anteil von E-Autos im Privatbesitz (nur 3,3 % im Q1 2025)
https://www.huk.de/fahrzeuge/ratgeber/elektroautos/e-barometer.html -
Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) – Fahrzeugbestand 2025
Offizielle Zahlen zum Pkw-Bestand nach Antriebsarten (1,65 Mio. BEV, 3,3 % Anteil)
https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/AlternativeAntriebe/2025/pm03_2025_Antriebe_12_24_komplett.html
🧾 Förderpolitik & Steuerrecht
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Bundesregierung – Abschaffung des Umweltbonus
Offizielle Mitteilung zum Förderstopp ab dem 17. Dezember 2023
https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte-der-bundesregierung/nachhaltigkeitspolitik/faq-umweltbonus-1993830 -
Tagesschau – Dienstwagenprivileg & 0,25 %-Regelung
Bericht über die geplante Ausweitung der steuerlichen Begünstigung auf Fahrzeuge bis 100.000 €
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/e-autos-dienstwagen-privileg-besserverdienende-100.html -
ADAC – Versteuerung von Elektro-Dienstwagen 2025
Informationen zur 0,25 %-Regelung und deren Anwendung
https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/elektromobilitaet/elektroauto/elektroauto-firmenwagen-steuern/
📰 Hintergrundberichte & Analysen
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Welt – Analyse von HUK Coburg: Der große E-Auto-Irrtum
Diskussion über die geringe Akzeptanz von E-Autos bei Privatkunden
https://www.welt.de/wirtschaft/plus256113818/Analyse-von-HUK-Coburg-Hier-zeigt-sich-der-grosse-E-Auto-Irrtum.html -
Elektroauto-News – Studie: Privatleute steigen eher auf gebrauchte E-Autos um
Bericht über den Trend zum Kauf gebrauchter E-Autos nach Wegfall der Förderung
https://www.elektroauto-news.net/news/huk-e-barometer-gebrauchte-e-autos-umstieg
Hinweis in eigener Sache:
Ich selbst fahre sowohl privat als auch dienstlich elektrisch – nicht aus Prestigegründen, sondern aus Überzeugung. Dass meine privaten Fahrzeuge in Belgien zugelassen sind, schützt mich vor den direkten Auswirkungen dieser einseitigen Förderpolitik in Deutschland. Aber ich halte es für falsch, dass nachhaltige Mobilität in Deutschland zunehmend vom Zugang zu steuerlich privilegierten Dienstwagen abhängt – und nicht mehr vom tatsächlichen Engagement für Umwelt, Gesellschaft und Zukunft.