Warum Dobrindts Grenzpolitik ein Rückfall ist
Es ist wieder soweit. Die CSU lässt den Hardliner in sich raus. Alexander Dobrindt, designierter Bundesinnenminister, hat in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk angekündigt, unmittelbar nach Amtsantritt die stationären Grenzkontrollen massiv auszuweiten und Asylsuchende konsequenter zurückzuweisen (BR24, 6. Mai 2025). Ziel sei es, so Dobrindt, die "illegale Migration sofort und spürbar zu senken" und die "Ordnung im Land wiederherzustellen". Klingt nach AfD im Maßanzug. Oder nach Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten.
Zurückweisungen an der Grenze, noch bevor überhaupt geprüft wurde, ob jemand schutzbedürftig ist? Grenzpolitische Machtdemonstration statt Asylrecht? Das hatten wir schon mal – und es war schon damals eine rechtsstaatliche Grenzverletzung[^1]. Jetzt aber wird daraus Regierungslinie. Ich bin nicht nur empört. Ich bin wütend. Und zwar so richtig. Denn diese Politik ist nicht nur zynisch, sie ist gefährlich – für Menschenleben, für das internationale Ansehen Deutschlands, für das demokratische Gefüge Europas.
Und sie ist teuer – auch wirtschaftlich. Wer glaubt, dass sich Abschottung zum Nulltarif umsetzen lässt, möge bitte mal mit den abertausenden Grenzpendlern und Gewerbetreibenden sprechen, die tagtäglich zwischen Aachen und Maastricht, zwischen Kehl und Straßburg oder zwischen Passau und Linz unterwegs sind – und die jetzt im Stau stehen, weil ein Mann im Ministeramt Härte demonstrieren will. Die versteckten Kosten dieser Maßnahme trägt nicht die CSU – sondern wir alle.
Die Kritik kommt nicht nur von Menschenrechtsorganisationen. Auch die Gewerkschaft der Polizei warnt vor dem Vorstoß: zu wenig Personal, zu große Belastung, rechtlich fragwürdige Zurückweisungen ohne Absprachen mit den Nachbarländern (BR24, 6. Mai 2025).
Währenddessen applaudieren die konservativen Hinterbänke – und die AfD gleich mit. Willkommen im Jahr 2025, in dem die Koalition von CDU/CSU und SPD nicht die Demokratie verteidigt, sondern ihre Sprache verdreht, um Abschottung als Verantwortung zu verkaufen.
Wer Menschenrechte relativiert, relativiert alles
Was hier passiert, ist nichts weniger als ein Frontalangriff auf die moralische DNA Europas. Das Asylrecht ist kein Luxus, kein Geschenk, kein Gnadenakt – es ist ein Grundrecht, das aus den Trümmern der Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts geboren wurde. Es ist fest verankert in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und im deutschen Grundgesetz (Art. 16a GG). Wer dieses Recht heute per ministeriellem Machtwort einschränken will, stellt sich außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens – und sägt an einem der letzten echten Konsenspfeiler der westlichen Demokratie.
Die sogenannte „Rückweisung an der Grenze“ ist kein harmloser Verwaltungsvorgang. Sie bedeutet im Klartext: Menschen, die oft jahrelang auf der Flucht waren, Gewalt und Ausbeutung erlebt haben, ihre Heimat, Familie und Sicherheit verloren haben, werden an einer Schranke abgewiesen – ohne Gehör, ohne Prüfung, ohne Chance. Diese Praxis zerstört das Vertrauen in die Gültigkeit von Rechten – sie schafft eine Zwei-Klassen-Moral, in der nur noch zählt, wer schnell genug war, wer aus dem „richtigen“ Land kommt oder in der „richtigen“ Liste steht.
Es geht hier nicht um Ordnung. Es geht um Ausgrenzung. Es geht um Machtdemonstration auf dem Rücken derer, die sich nicht wehren können. Und wir sollten uns nichts vormachen: Wer heute das Asylrecht schleift, öffnet morgen die Tür für das Schleifen anderer Grundrechte. Wenn politische Opportunität wichtiger wird als verfassungsrechtlicher Schutz, dann ist nichts mehr sicher – weder Pressefreiheit noch Versammlungsrecht noch das Recht auf ein faires Verfahren.
Und irgendwann – das ist keine rhetorische Figur – trifft es nicht mehr „die anderen“. Dann trifft es uns. Vielleicht, weil wir protestieren. Weil wir nicht still sind. Oder weil wir irgendwann selbst zu jenen gehören, die etwas suchen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: Schutz.
Abschreckung ersetzt keine Verantwortung
Dobrindts gesamte Argumentation gründet auf einem zynischen Menschenbild: Wer nach Schutz sucht, soll es sich zweimal überlegen, ob er überhaupt an der deutschen Grenze erscheint. Nicht, weil er eine Gefahr darstellt. Nicht, weil sein Anspruch juristisch zweifelhaft wäre. Sondern schlicht, weil seine bloße Anwesenheit als politisch störend empfunden wird.
Diese Logik ist inhuman, weil sie auf Angst statt auf Mitgefühl baut. Sie ist sicherheitspolitisch wirkungslos, weil sie Ursachen von Flucht ignoriert und Symptome bekämpft. Und sie ist europapolitisch destruktiv, weil sie auf nationale Alleingänge setzt und dabei das ohnehin fragile Vertrauen in den europäischen Zusammenhalt untergräbt.
Die CSU – und mit ihr offenbar Teile der Bundesregierung – wollen Abschottung exportieren und Zusammenhalt importieren. Sie erwarten Loyalität von Brüssel, während sie sich an den Außengrenzen gegen jede Form gemeinsamer Verantwortung immunisieren. Doch so funktioniert Europa nicht. Wer Grenzen schützen will, muss zuerst die Grundrechte sichern, die diese Grenzen überhaupt legitimieren.
Grenzen zu „verteidigen“ heißt nicht, sie zu schließen wie einen Supermarkt nach Ladenschluss. Es heißt, sie nicht zu einem Ort der Willkür und Einschüchterung verkommen zu lassen. Es heißt, zwischen Ordnung und Menschenwürde nicht zu wählen, sondern beides miteinander in Einklang zu bringen – auch und gerade, wenn es unbequem ist.
Wenn das zu viel verlangt ist, stellt sich nicht die Frage, ob Europa versagt. Dann stellt sich die Frage, ob seine politischen Vertreter ihren Eid auf die Verfassung überhaupt noch ernst nehmen.
Es reicht.
Ich bin Belgier. Mich geht das, streng genommen, gar nichts an. Aber was Deutschland – und inzwischen auch die Niederlande – da veranstalten, geht mir gehörig auf den Sack. Es sind die Länder, in denen meine Eltern geboren wurden. Länder, von denen ich erwartet hätte, dass sie es besser wissen.
Ich habe keine Lust mehr, mir von dieser Art Politik meine Sprache für Menschlichkeit rauben zu lassen. Ich habe keine Lust, zuzusehen, wie Grundrechte ausgehöhlt werden, während man in Pressekonferenzen von "Humanität und Ordnung" faselt.
Wenn Dobrindt unbedingt Grenzen hochziehen will, dann soll er sich doch mal selbst dahinter stellen – und erleben, wie es ist, auf Schutz angewiesen zu sein. Vielleicht lernt er dann, dass Asyl kein Luxus ist, sondern oft der letzte Hoffnungsschimmer für Menschen in Lebensgefahr.
Ein bisschen persönliche Erfahrung mit Ohnmacht und Abweisung könnte seinem politischen Urteilsvermögen vielleicht nicht schaden. Vielleicht bleibt dann wenigstens ein Rest von Anstand und Verfassungsgeist übrig. Denn wer Menschenrechte aufhält, der hält letztlich auch uns auf – egal, auf welcher Seite der Grenze wir leben.
[^1]: Gemeint ist der sogenannte Asylstreit von 2018 zwischen Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel. Seehofer wollte damals Geflüchtete an der Grenze zurückweisen, was juristisch und politisch stark umstritten war. Menschenrechtsorganisationen und juristische Gutachten warnten vor einem Bruch des EU-Rechts und der Genfer Flüchtlingskonvention.