Kanzlerwahl mit Warnsignal: Eine Führung, die keiner wirklich will
Am 6. Mai 2025 wurde Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt – allerdings erst im zweiten Wahlgang. Ein Vorgang, der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellos ist. Nie zuvor ist ein Kanzlerkandidat im ersten Anlauf gescheitert, wenn seine Koalition über eine klare Mehrheit verfügte. Die neue Koalition aus CDU/CSU und SPD hat 328 Sitze – Merz brauchte 316 Stimmen, bekam aber nur 310.
Das ist mehr als ein Stolperstart. Das ist eine offene Klatsche für Friedrich Merz – und ganz nebenbei auch für seinen Koalitionspartner Lars Klingbeil.
Was dieser zweite Wahlgang aussagt
Ein zweiter Wahlgang ist kein bloßes Versehen oder ein Rechenspiel. In einem so durchgeplanten, disziplinierten Akt wie der Kanzlerwahl im Bundestag bedeutet ein verfehlter erster Durchgang: Es gibt nennenswerten Widerstand in den eigenen Reihen. Und zwar nicht nur einen oder zwei Abweichler – es fehlen mindestens 18 Stimmen. Das ist kein Streuverlust, das ist eine gezielte Enthaltung, vielleicht sogar ein Misstrauensvotum ohne Öffentlichkeit.
Dass Merz diesen Dämpfer zum Auftakt seiner Amtszeit kassiert, wirft einen langen Schatten auf die kommenden Monate. Denn wenn die Koalition bei der wichtigsten Wahl des Landes keine Geschlossenheit zeigt – wie soll sie dann bei kontroversen Haushalts-, Sozial- oder Europafragen zusammenhalten?
Auch Klingbeil steht im Schatten
So sehr dieser Moment formal auf Merz zielt – auch Lars Klingbeil wird getroffen. Als Co-Vorsitzender der SPD trägt er Mitverantwortung für die Regierungsbildung. Er steht für ein rot-schwarzes Bündnis, das kaum Begeisterung ausgelöst hat – weder in der Bevölkerung noch in den eigenen Parteien. Viele Genossinnen und Genossen fragen sich, warum man sich hinter Merz stellen soll, einem Konservativen mit harter Kante, statt eigene Profilierungsmöglichkeiten zu nutzen.
Dass auch aus den SPD-Reihen Stimmen fehlen dürften, ist mehr als wahrscheinlich. Und damit steht auch Klingbeil als Parteichef mit beschädigtem Rückhalt da. Das Bündnis, das er mitgeschmiedet hat, wirkt wie ein Pakt der Ideenlosen – pragmatisch, aber ohne Vision.
Ein unbeliebtes Führungsduo?
Was bleibt, ist der Eindruck eines Führungspersonals, das in der Breite nicht zieht. Merz steht für Polarisierung, Klingbeil für Blässe. Beide haben nicht mobilisiert, sondern eher die Faust in der Tasche provoziert. Sie stehen nicht für Aufbruch, sondern für Verwaltung – nicht für Richtung, sondern für Reaktion.
Und: Beide Parteien hätten bessere Leute aufstellen können.
Die Union verfügt über erfahrene, sachlich auftretende Köpfe wie Norbert Röttgen, Carsten Linnemann oder auch Armin Laschet, der trotz vergangener Fehler als Vermittler und Teamplayer gelernt hat, leiser, aber klarer zu führen. In der SPD wiederum hätten Persönlichkeiten wie Kevin Kühnert, Hubertus Heil, Malu Dreyer – oder eben auch Boris Pistorius, der als Verteidigungsminister über Parteigrenzen hinweg Anerkennung genießt – das Potenzial gehabt, andere Akzente zu setzen.
Stattdessen erleben wir nun den Start einer Regierung, die bereits in der Kanzlerwahl ihren ersten Riss zeigt.
Fazit
Die Wahl von Friedrich Merz im zweiten Wahlgang ist mehr als eine statistische Randnotiz. Sie offenbart die Bruchlinien in der neuen Koalition und die geringe emotionale Bindungskraft ihrer Führungsfiguren. Merz und Klingbeil wirken nicht wie Hoffnungsträger, sondern wie zwei Männer, die sich mit aller Kraft an die Spitze manövriert haben – nicht, weil sie begeistern, sondern weil sie Macht geschickt organisiert haben.
Beide haben sich ihre Position nicht durch Strahlkraft oder Vision verdient, sondern durch das geschickte Besetzen von Netzwerken, innerparteilicher Kontrolle und stiller Absprachen. Sie stehen exemplarisch für einen Politikstil, der weniger von Ideen getragen ist als von Kalkül. Es geht ihnen offenbar weniger um Richtung als um Verfügungsgewalt über Apparate, weniger um Zukunft als um Absicherung der eigenen Position.
Deutschland verdient mehr als das – und es ist zu hoffen, dass dieser Ruck im Auftakt der Regierung nicht sinnbildlich für ihre gesamte Amtszeit steht.
Und ganz persönlich: Ich träume immer noch von einem Bundeskanzler Robert Habeck – weil Führung nicht nur Verwaltung und Taktik sein darf, sondern auch Haltung, Sprache und Mut zur Unsicherheit.